Auf der einen Seite die Verschwendung, auf der anderen die Not. Auf der einen Seite die Überlastung, auf der anderen die Sinnlosigkeit. Keine Frage, unsere Welt könnte besser aussehen. Was das mit Geld und Tauschlogik zu tun hat, darüber haben wir mit dem Aktivisten Tobi Rosswog gesprochen.

Zweieinhalb Jahre lebten Tobi und die Freilernerin und Aktivistin Pia komplett geldfrei. Das hat sie verändert – befreit, wie Tobi meint. Sie haben sich in dieser Zeit nämlich wenig Gedanken über Gehaltsverhandlungen, Steuererklärungen und Karriereplanung gemacht.

Statt dessen haben sie einfach das getan, was ihr Herz ihnen gesagt hat: Das Aktionsnetzwerk living utopia gegründet, den Mitmachkongress utopival ins Leben gerufen, eine Online-Seite zum Thema „Geldfreier leben“ entwickelt und für den November planen sie die Utopie-Ökonomie-Konferenz Utopikon.

Doch können wir uns ein Leben, eine Gemeinschaft, ein Unternehmen oder gar eine ganze Gesellschaft ohne Geld vorstellen? Wir vielleicht nicht, aber Tobi schon. Deshalb haben wir ihn gefragt, wie so eine Welt wohl aussehen würde.

Du hast geldfrei gelebt – warum?

Zweieinhalb Jahre habe ich radikal geldfrei gelebt, um Erfahrungen und Perspektiven außerhalb von Verwertungslogik, Leistungsdruck und Selbstoptimierungswahn zu machen. Aktuell lebe ich nur noch geldfreier. Das heißt ich gebe lediglich für zwei Dinge ein wenig Geld aus: Zum einen für die Warmmiete zur Finanzierung eines Projekt- und Gemeinschaftshauses. Und zum anderen für die Krankenversicherung.

Welche positiven Veränderungen gibt es, wenn Geld (und Tauschlogik) keine Rolle mehr spielt?

Das Leben ohne Geld oder Tauschlogik bewirkt zum einen eine Befreiung – wenn diese Lebensweise selbstbestimmt gewählt ist. Zum Beispiel befreit sie von Bürokratie. Außerdem überwindest du damit die klassischen Rollen von Verkäufer*in und Konsument*in.

Somit kannst du Menschen wieder auf einer menschlichen Ebene begegnen. Und vor allem ist geldfrei(er) zu handeln das Nachhaltigste, was du tun kannst, weil du keine weitere finanzielle Nachfrage für Angebote schaffst, die ohnehin schon in Hülle und Fülle vorhanden sind.

Kannst du dir eine ganze Gesellschaft, eine Ökonomie ohne Geld vorstellen?

Unbedingt kann ich mir das vorstellen. Das liegt aber auch daran, dass ich mich schon länger damit beschäftige.

Am Anfang ist das erstmal nicht leicht denkbar, weil es so konträr zu unserer aktuellen Wirtschaftslogik und zu unseren alltäglichen Erfahrungen ist. Aber nur weil du dir etwas heute nicht vorstellen kann, heißt es ja nicht, dass es unmöglich ist. Es ist eben einfach nur gerade nicht vorstellbar!

Eine Idee, wie eine Ökonomie ohne Geld und Tauschlogik aussehen könnte, liefert die Ökonomin, Aktivistin und Historikerin Friederike Habermann. Sie hat dafür das Konzept der „Ecommony“ in den Diskurs gebracht. Dieses beruht auf vier Prinzipien, die einen ersten Einblick geben:

a) Teile, was Du kannst
b) Beitragen statt Tauschen
c) Besitz statt Eigentum
d) Freie Kooperation

Wer mehr darüber erfahren mag, kann sich gerne ein spannendes Interview durchlesen, welches ich mit ihr machen durfte.

Wie könnte ein Unternehmen aussehen, das geldfrei organisiert ist?

In einer Beitragsökonomie bringen sich Menschen nach ihren individuellen Fähigkeiten motiviert und gemeinwohldienlich ein, um die Bedürfnisse zu stillen, die tatsächlich vorhanden sind.

Zum Beispiel wird das Bedürfnis nach Nahrung in so einer Gesellschaft logischerweise vorhanden sein. Deshalb organisieren sich die Menschen in Kollektiven, die das Talent haben Lebensmittel zu erzeugen – beispielsweise in bioveganen permakulturellen Gemeinschaftsgärten. Die Lebensmittel sind Commons (Gemeingut), das heißt sie sind nicht das Eigentum des Kollektivs, sondern stehen allen Menschen zur Verfügung, die Hunger haben.

Das ist eine radikal andere Verteilung, wie unsere heutige, in der Lebensmittel sogar zurückgehalten oder lieber verschwendet werden, um den Preis stabil zu halten – und das obwohl Menschen hungern.

Wir leben jetzt schon in unglaublicher Fülle, der Mangel ist nur konstruiert. Deshalb konnte Mohandas Karamchand Gandhi damals sagen: „Es gibt genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier.“

Welche Ansätze siehst du heute schon, die in diese Richtung weisen?

Da gibt es sehr viele! Umsonstläden, Kleiderschenk-Partys, Foodsharing, Repaircafes, … Das sind alles wichtige Räume, die andere Selbstverständlichkeiten ermöglichen. Darin können wir gemeinsam neue Erfahrungen sammeln, um Wege in ein neues Miteinander zu gehen.

Bist du voller Zuversicht, dass wir eine geldfreie(re) Gesellschaft erreichen?

Unbedingt! Aber das ist natürlich ein längerer Prozess, den wir geduldig und voller Freude am Experimentieren gemeinsam gehen sollten, um immer mehr utopietaugliche Alternativen und Inseln zu schaffen.

 

Danke für das Gespräch, Tobi!

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Bis zum 5. September 2016 kannst du dich noch bei der Utopikon für ein Ticket anmelden. Die Konferenz selbst ist geldfrei. Unter allen Anmeldungen werden dann 300 Tickets verlost. Und hier noch die Daten zur Konferenz selbst:

UTOPIKON

Die Utopie-Ökonomie-Konferenz

04. bis 06. November 2016

Forum Factory | Berlin

5 Keynotes, 20 Workshops, Kleider- und Dingeschenkdepot

utopikon.de

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